wie steht die Theaterpädagogik im Verhältnis zur Demokratie und umgekehrt?

Theaterpädagogik ist nicht immer per se demokratisch, dennoch gibt es in der Theaterpädagogik viele Methoden, Vorgehensweisen und Praktiken, mit denen sich das „Herrschen des Volkes“(1) üben und kennenlernen lässt. 

Vor allem meinen wir hier Methoden jenseits der Abstimmungsdemokratie - mal ganz spielerisch, tänzerisch und mal durch Reflexion und Diskussion. 

Es geht in der Theaterpädagogik oft darum, dass eine Gruppe sich in geleitetem Rahmen koordiniert und gemeinsam einen Probier- und Erlebnisraum teilt. Die Teilnehmenden erproben sich in nicht-alltäglichen Ausdrucksweisen - mit dem Körper, durch Worte und Gestaltung. Es geht darum mit anderen in Dialog zu treten, sich „zu verstehen“, sich zuzuhören (oder auch mal zu streiten) und gemeinsam zu reflektieren (2). Durch diese, von Theaterpädagog:innen geschaffenen Räume entstehen neue Erfahrungen und neue Einsichten zu wichtigen gesellschaftlichen Themen, die uns beschäftigen, wie z.B. Zugehörigkeit, Gender, Macht, Diskriminierung, Gleichberechtigung, Frieden, Freiheit, Toleranz, Diversität, Klimaschutz,... Ein wichtiger Bestandteil mancher Prozesse ist, gemeinsam Entscheidungen zu treffen. So einigt sich die Gruppe z.B. auf eine Stückaussage oder eine ästhetische Richtung, wodurch Konsens oder Vielstimmigkeit entsteht. 

Theaterpädagogik erweitert Möglichkeiten

Bei einer partizipativen Theaterpädagogik, die viele Mitentscheidungs- und Mitgestaltungsangebote macht, liegt der Demokratiebezug nahe. Jedoch auch theaterpädagogische Vorgehensweisen, die ein eher direktives in Rollen schlüpfen anbieten, beinhalten durch die angelegte Differenzerfahrung (3) schon ein selbstreflexives Element. Dadurch werden Perspektivwechsel und Einfühlungs-vermögen (4) erfahrbar und Spieler:innen bzw. Teilnehmer:innen können die innere Freiheit entwickeln einen Standpunkt zu vertreten und diesen mit anderen zu teilen – sie machen sich anfechtbar. Das sind wichtige Voraussetzungen für eine funktionierende Demokratie.


Die Macht des Probierens und der Reflexion 

Auf der Suche danach, welche demokratischen (oder Demokratie-fördernden) Haltungen, Kompetenzen und Erfahrungen Teilnehmende in Theaterworkshops entwickeln können haben wir einige Antworten gefunden. Die Episode Theaterpädagogik & Demokratie besteht aus 4 Folgen, die wir demnächst veröffentlichen: 

1. Gruppenerlebnisse – sich einlassen und Erfahrungen machen 

2. Gehört werden – die Erfahrung von Selbstwirksamkeit 

3. Gestalten und Reflektieren - Theater als Kulturtechnik? 

4. Von der Vielstimmigkeit zur Theatercollage 

Verweise

(1) (Wikipedia: Demokratie von altgriechisch δημοκρατία dēmokratía ‚Volksherrschaft‘) praktizieren, üben und kennenlernen lässt.

(2) Besonders hervorzuheben im Diskurs von Demokratiebildung ist der Moment der Reflexion. Durch Hinterfragen und Auswerten findet Meinungsbildung statt. Dies ermöglicht auch übers Theater hinaus eine aktive Beteiligung an demokratischen Prozessen. Durch die schauspielerischen Arbeit entsteht Reflexionsfähigkeit: “Das reflexive Verhältnis des Subjekts zu sich selbst, [...] kann als ein grundlegendes Element des schauspielerischen Gestaltens angesehen werden.” (Hentschel 208)

(3) Differenzerfahrung spielt im Konzept der ästhetischen Bildung von Ulrike Hentschel eine zentrale Rolle. Durch die "Differenzerfahrung" beim Theaterspiel entstehen Hentschel zufolge Wahrnehmungs- und Lerneffekte.
" Gemeint ist die im Spiel erfahrbare Differenz zwischen Spielenden und Figur, zwischen Spielenden und Mitspielenden, zwischen privatem und öffentlichem Sprechen sowie zwischen Alltag und Performance (Sting)."
Hentschel selbst bezieht sich auf Richard Schechner, der das Dazwischen folgendermaßen beschreibt und aus anthropologischen Forschungen zu einem Hirschtanzritual in Arizona herleitet. Der Darsteller drückt dabei in einer Performance verschiedene Identitäten gleichzeitig aus und befindet sich in einem Zustand, in dem es unmöglich ist zu bestimmen, wer er genau ist.
In den Momenten, in denen der Tänzer 'nicht er selbst' und noch 'nicht nicht er selbst' ist, läßt sich seine Identität nur im Grenzbereich von 'Charakter', 'Repräsentation', 'Imitation', 'Ent-führung' oder 'Transformation' lokalisieren .“ (Schechner 10) 

(4) “Die Spielenden erfahren sich als Subjekt, Objekt und Material des künstlerischen Prozesses.” (Hentschel 240) 

Quellen

Ulrike Hentschel (2010): Theaterspielen als ästhetische Bildung. Über einen Beitrag produktiven künstlerischen Gestaltens zur Selbstbildung. Berlin-Milow-Strasburg.

Schechner, Richard (1990): Theateranthropoloie: Spiel und Ritual im Vergleich. Reinbek.

Wolfgang Sting (2017): Ästhetische Praxis des Theaters als Intervention, Partizipation oder einfach nur ästhetische Erfahrung?  https://www.kubi-online.de/artikel/aesthetische-praxis-des-theaters-intervention-partizipation-oder-einfach-nur-aesthetische .