Episode 1: Gruppenerlebnisse

Sich einlassen und Erfahrungen machen

Was bewegt dich?

Ein Ziel unserer Arbeit als Theaterpädagog:innen ist, dass sich die Teilnehmenden ganzheitlich einlassen. Da sind die persönlichen Themen und Anliegen, die der anderen und alles, was dazwischen im Raum schwebt. Es sind die gemeinsamen Erfahrungen und Erlebnisse, die unser Denken verändern und unser aller Lernen ermöglichen. 


Sinnliche Erfahrungen machen Sinn: Spüren – hören – riechen – schmecken - sehen 

Theaterpädagogische Angebote bieten sinnliche Erkundungen in einem thematisch aufgeladenen Erfahrungsraum. Diese Reise findet nicht nur kognitiv statt oder wie im Fernsehen/ Internet/ am Handy. Ein Theaterpädagogischer Rahmen lädt dazu ein, auch mal die Augen zu schließen und die sichere Welt unserer Begriffe und Wahrheiten zu verlassen. Oft müssen wir sogar manche Bedeutung zunächst vergessen, uns in Schwebezustände (1) begeben, bevor wir zu neuen Erkenntnissen gelangen. 


Lernen geschieht in unterschiedlichen Tiefendimensionen. 

Während der Schulunterricht umfangreiches Lernen von Wörtern und Begriffen beinhaltet (= Begriffslernen), entwickeln sich Kinder im Alltag durch direktes Handeln und Nachahmen (= Handlungslernen). Dies kann z.B. durch theatrale Rollenspiele aufgegriffen werden. In der Theaterarbeit lässt sich jedoch auch noch eine dritte Tiefendimension erreichen: Der Bereich der Selbsterfahrung. Durch das Eindringen in diese Schicht findet Transformation (2) und Persönlichkeitsentwicklung statt. 

Der Schritt hin zur Reflexion rund um die Erfahrungen ist in der Theaterpädagogik von zentraler Bedeutung – hierdurch entfalten sich die Lernpotentiale erst richtig. Dadurch wird ein Erlebnis zu einer Erfahrung, Begriffe werden aufgeladen mit erweiterten Bedeutungen. Zudem kann durch das Wechselspiel von Erfahrung und Reflexion fundierte Meinungsbildung entstehen, was uns auf das Leben in einer Demokratie vorbereitet. Trotzdem handelt es sich in der Theaterpädagogik nie um “reine” Selbsterfahrung, sondern zu beachten ist der ästhetische Kontext (3).




Von der szenischen zur bewegten Themenarbeit 

Die Szenische Themenarbeit, die bei DAS Ei in Form von Standbildarbeit und Rollenspiel unterrichtet wird, beinhaltet sowohl körperliche Spiel- und Erfahrungsangebote als auch verbale Auswertung. Eine Methodenvielfalt ermöglicht es verschiedenste Zielgruppen in gesellschaftliche und fachliche Themendiskurse zu bringen. 

Genderthematiken, Vorurteile, Diversität, Machtfragen oder Diskriminierung lassen sich ebenso diskutieren, wie spezifische Anliegen einer Einrichtung (z.B. Organisationsentwicklung, Zukunftsvisionen erarbeiten). 

Neben den “stehenden Verfahren”, die u.a. von Augusto Boal, Jacob Moreno und Ingo Scheller übernommen und weiterentwickelt wurden, entwickeln wir bei DAS Ei auch den neuen Ansatz “Bewegte Themenarbeit”, der Themen durch Bewegungserkundung erfahrbar macht. Dieser Ansatz ist von somatischen Methoden beeinflusst, die das Zusammenspiel von Körper und Geist zentral stellen und epistemologisches Potential haben, daher Wissen generieren. Inspirationsquellen für embodiment durch Körperarbeit und Bewegung sind Deep Democracy (4) und Body Mind Centering (5).  

Verweise

(1) Schwebezustände ist ein phänomenologischer Begriff, den wir beim Ei seit einigen Jahren als didaktischen Begriff verwenden. Darunter fassen wir aufgeladene (Theaterpädagogische) Erfahrungsräume, die transformatorische Potentiale bieten, jedoch eine liminale Phase vor der Reflexion beschreiben. Es geht um aufgerüttelte Zustände bei Teilnehmenden, die sich in Lern- und Erfahrungsprozessen befinden.
“Mit seiner unendlichen Vielfalt an Transformationen, mit seiner Neuordnung der Sinne, seiner Schaffung energetischer Felder und anderer ‘Zwischenräume’ formuliert das Theater ein neues kulturelles Wissen, das derzeit noch nicht diskursiv zur Verfügung steht. Es ist ein performatives Wissen, das nicht sprachlich übermittelt, sondern nur am eigenen Leibe erfahren werden kann.” (Erika Fischer Lichte nach Pinkert, 316)

(2) Der Begriff der Transformation ist für die Theaterpädagogik beim Ei zentral. Transformation bedeutet Veränderung auf tiefer, ganzheitlicher Ebene und ist eng verknüpft mit den Schwebezuständen. Auch gesellschaftlich sind wir mit großen Transformationsprozessen konfrontiert und sehen hier das transformative Potential der Theaterpädagogik als Chance, Wandlung in der Gesellschaft mit zu gestalten. Der Begriff ist angelehnt an die Performance Theorie von Richard Schechner (Theateranthropologie).

(3) "Die ästhetische Erfahrung erschöpft sich jedoch nicht nur im Akt intensiver Selbsterfahrung, ebenso wesentlich ist der Bezug zur äußerlich erfahrenen Wirklichkeit: sei es zum ästhetischen Objekt selbst wie auch ggf. zu der durch das Objekt vermittelten Wirk­lichkeit [...]In der ästhetischen Erfahrung gehen Ich-­Erfahrung und Welt­-Erfahrung eine Einheit ein." (Brandstätter).

(4) vgl. https://iapop.com/deep-democracy

(5) vgl. https://www.bodymindcentering.com

Quellen

Gabriele Brandstätter (2012/13). Ästhetische Erfahrung. (https://www.kubi-online.de/artikel/aesthetische-erfahrung)

Ute Pinkert (2005). Transformationen des Alltags. Theaterprojekte der Berliner Lehrstückpraxis und Live Art bei Forced Entertainment. Modelle, Konzepte und Verfahren kultureller Bildung.

Richard Schechner (1990): Theateranthropoloie: Spiel und Ritual im Vergleich. Reinbek.